Wunderblock .Salon für Kunst & Visuelle Kultur
Gespräche über den homo pictor. Kuratiert von Falk Nordmann, Dieter Jüdt, Andreas Rauth, Marc Schweska
Es begann bei gelegentlichen privaten Treffen. Immer wieder geriet das Thema unserer Gespräche in die Umlaufbahn der Bilder und setzte sich dort fest. Das ist vielleicht auch nicht überraschend, wenn sich Menschen unterhalten, die ihren Lebensunterhalt mit Zeichnen, Malen, Gestalten, mit künstlerischer Arbeit und ästhetischer Theorie bestreiten. Durch die Gravitationskraft der Bilder entstand eine besondere Atmosphäre und Dynamik, die bei allen Beteiligten den Wunsch entstehen ließ, diesen Gesprächen ein öffentliches Forum zu geben. Und wir durften wohl annehmen, dass ein Thema, welches die Menschheit seit Jahrtausenden beschäftigt, mehr als nur einen kurzweiligen Abend abgeben würde. Dabei stand sogleich fest, dass wir nicht nur das Freundesgespräch weiter pflegen wollten, sondern vor allem am Wissen und der Erfahrung anderer interessiert sind.
Den Auftakt der Gesprächsreihe, die nach einer kurzen Diskussion einvernehmlich ›Wunderblock‹1 getauft wurde, machte im September 2012 ein Abend über 60’s & 70’s Grindhouse Movie Poster, dem wir den Titel No Need For Taste gaben – ein Zitat des amerikanischen Regisseurs Martin Scorsese. Unser Gastexperte war der Berliner DJ, Kameramann und B-Movie-Spezialist Commander Schmackos. Damit etablierte sich von Anfang an eine gewisse Neigung zu den marginalen und obskuren Seiten des Bilduniversums – the dark side of the moon, wenn man so will. Auch bei den folgenden Veranstaltungen kam diese Seite, zwar nicht immer, aber doch häufig zum Zug.
Neben dem großen Spaß, der Bilderlust, die uns nach wie vor antreibt, kreist auf einer parallel verlaufende Umlaufbahn ein ernsthaftes akademisches Interesse, dessen Leidenschaft kaum geringer einzuschätzen ist. Hier ist der Ort von Fragen nach den Gründen und der Geschichte von Bildern. Was treibt die Menschen dazu an, von der Welt, in der sie leben, Bilder anzufertigen? Was geschieht mit dieser Welt aus Bildern? Welche Bedeutung, welchen Einfluss haben Bilder auf uns? Und nicht zuletzt: Was ist ein Bild? Die Frage hatte der Bildwissenschaftler Gottfried Boehm gestellt. Der dazugehörige, 1994 erschienene Band versammelt Texte von Autoren unterschiedlicher Disziplinen, in denen deutlich wird, wie eingeschränkt das herkömmliche Verständnis vom Bild ist. Man darf wohl annehmen, die meisten Menschen denken bei dem Begriff an eine Fotografie, weniger häufig an ein Gemälde, aber wer hat sprachliche Bilder oder Vorstellungsbilder im Sinn?
Der Philosoph Hans Jonas spricht vom Menschen als homo pictor, dem bildbegabten Wesen. Wenn darin eine zugleich offene und kritische Haltung zum Ausdruck kommt, so ist es genau das, was wir für uns, was wir für den Wunderblock beanspruchen. Wie man sich zu Bildern verhält, was man von ihnen erwartet und welche Rolle sie im gesellschaftlichen Leben einnehmen, sind keine nebensächlichen Fragen in einer Zeit, die von der Bilderflut schon nicht mehr redet, weil sie längst Normalität geworden ist. Immer häufiger verlassen wir uns in Beruf und Alltag auf Bilder – wir lernen durch Bilder, shoppen nach Bildern, navigieren durch fremde Orte mit Hilfe von Bildern, und von der künftigen Wohnung und ihrer Einrichtung erstellen wir erst mal Bilder, bevor ein Miet- oder Kaufvertrag unterzeichnet wird; Bilder bestimmen maßgeblich unser Denken und Handeln, aber können wir ihnen vertrauen?
Den kritischen Umgang mit Bildern pflegen, scheint eine ganz grundsätzliche Anforderung im 21. Jahrhundert zu sein, weil unter dem Einfluss digitaler Technologien das Bild zur beliebig verformbaren Masse geworden ist, in der die Entstehungsprozesse kaum noch erkennbar sind – sie sollen es auch nicht sein. Mit dem Wunderblock wollen wir – im Gespräch mit Experten und im Dialog mit dem Publikum – Einsichten in Geschichte und Gegenwart der Bildkultur fördern, ohne dabei die Bilderlust aus den Augen(!) zu verlieren.
Der Wunderblock hat eine eigene Webseite wunderblock.jitter-magazin.de
Der Wunderblock fand von 2012–2018 in unregelmäßigen Abständen statt. Eine Fortsetzung ist nicht ausgeschlossen…
Der Wunderblock wurde (wird) kuratiert von Dieter Jüdt, Falk Nordmann, Andreas Rauth, Marc Schweska.
Eindrücke von verschiedenen Wunderblock-Abenden aus den Jahren 2014–2018.
Anmerkungen
- Der Name »Wunderblock« bezieht sich auf Sigmund Freuds Text »Notiz über den ›Wunderblock‹ (1924), in dem er das Gedächtnis, bestehend aus dem System Wahrnehmung–Bewusstsein und dem Unbewussten, mit einer Schreibtafel für Kinder, dem sogenannten »Wunderblock« vergleicht. Dieser besteht aus einer Wachstafel (Unbewusstes) und einem darüber befindlichen Doppelblatt aus Zelluloid (obere Lage, Wahrnehmung) und Wachspapier (untere Lage, Bewusstsein). Die Tafel kann an der Oberfläche immer wieder überschrieben werden, während sich in der Tiefe dauerhafte Spuren sämtlicher Eindrücke über die Zeit ablagern.