Essay für den Katalog zur Ausstellung in der Pforzheim Galerie vom 09. April–02. Juli 2017
Vom Rhythmus zum Algorithmus oder Der Lohn der Präzision
Manfred Mohr. Arbeiten aus 50 Jahren.
Auszug:
Eine neue Realität
Der radikale Bruch der künstlerischen Avantgarden zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der ästhetischen Tradition zeitigte neue Methoden der Produktion und Formen des Ausdrucks, mit Auswirkungen auch auf die Rolle des Künstlers und dessen Verhältnis zu seinem Werk. Kunst, so eine der Forderungen, sollte nicht mehr regelgerecht gestaltet werden, sie sollte sich, ohne den gezielten Eingriff des Künstlers, ereignen. Dies bedeutet, die maßgeblichen Prozesse, derer der Künstler sich bedient, müssen von ihm unabhängig arbeiten. Der Künstler wird zum Gestalter, zum Erfinder oder Ingenieur der Umstände, unter denen sich Kunst ereignet. Er definiert ein Setting, versetzt sich selbst in einen besonderen Zustand oder bringt sich in eine Situation, wo Kräfte wirken, die er nicht beeinflussen kann. Das Ereignis ist wichtiger als die Herstellung. Der Künstler wird zum Beobachter – und Teilnehmer – eines ästhetischen Experiments: er konstruiert Apparate, erfindet Regeln, definiert Parameter, die er auf sein Material anwendet, um Unvorhersehbares hervorzubringen. Der Zufall ersetzt das Genie. Obwohl es hinsichtlich des Materials keine Einschränkung gibt, waren die Auswirkungen doch zunächst im Aufscheinen einer neuen Wirklichkeit, der Wirklichkeit der zweidimensionalen Fläche zu spüren; sie gehört zu den zentralen Errungenschaften der Moderne. …