Zu Gast:
Jutta Person, Kulturwissenschaftlerin & Autorin, im Gespräch mit Andreas Rauth
Physiognomik und die Suche nach dem Wesentlichen
Bei unserem 27. Wunderblock-Abend, der im Projektraum alte feuerwache stattfinden wird, gehen wir mit der Kulturwissenschaftlerin und Autorin Jutta Person der wechselhaften Geschichte der Physiognomik nach, die die Jahrhunderte überdauert hat, weil sie, so scheint es, gegen alle Vernunft einem ursprünglichen menschlichen Bedürfnis entspricht.
Als Physiognomik wird eine seit der Antike bestehende Theorie bezeichnet, die versucht, Wesenszüge der Persönlichkeit in der äußeren Gestalt abzulesen und systematisch zu begründen. Das Konzept scheint einleuchtend, denn im Alltag sind wir alle Physiognomiker. Eine besondere Konjunktur erlebte die Physiognomik im 18. und 19. Jahrhundert, wurde aber auch damals schon scharf kritisiert und in der Folge als unwissenschaftlich verworfen. In jüngerer Zeit hat sich der Philosoph Gernot Böhme mit der Physiognomik auseinandergesetzt und sie nicht mehr als Ausdrucklehre eines inneren Wesens gedeutet, sondern die Kraft der Physiognomie im Eindruck gefunden, den eine Gestalt auf einen Betrachter macht (Böhme 2013). In diesem Zusammenhang rückt für Böhme auch die Physiognomie von Tieren, Landschaften und Dingen in den Fokus. Neue Gesichtserkennungstechnologien scheinen hingegen den antiken Vorstellungen treu zu bleiben, wie ein Artikel im Guardian zeigt, in dem über Algorithmen berichtet wird, die eine homosexuelle Neigung auf Basis von Fotografien mit einer Genauigkeit von einundneunzig Prozent bestimmen können (hier). Nachdenklich stimmt auch die aktuelle Konjunktur der Physiognomik in der Wirtschaft, wo man sich erhofft, die Fähigkeiten von Bewerbern nach physiognomischer Analyse beurteilen oder die wahren Absichten des Geschäftspartners aus Erscheinung und Mimik ablesen zu können.
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